Lernen im Mathematiklehramtsstudium - Eine Rekonstruktion gesellschaftlicher Bedeutungsstrukturen und subjektiv-begründeter Positionierungen

Johanna Ruge, Leibniz Universität Hannover
Betreuer: Prof. Dr. Reinhard Hochmuth

Kurzbeschreibung des Promotionsvorhabens

Was bedeutet lernen im Mathematiklehramtsstudium? Was bedeutet es für ein Mathematiklehramtsstudium zu lernen?

Diesen Fragen nähert sich das Promotionsprojektes mittels eines subjektwissenschaftlichen Forschungsrahmens (Holzkamp, 1985) an. Zentral für den subjektwissenschaftlichen Zugang ist, dass der Mensch als gesellschaftlicher Mensch betrachtet wird, welcher seine Lebensbedingungen schafft und diesen gleichzeitig ausgesetzt ist. Daraus ergibt sich ein Paradigmenwechsel vom Bedingtheits- zum Bedeutungs-Begründungdiskurs in der Erforschung des Lernens innerhalb des spezifischen institutionellen Kontext der universitären MathematiklehrerInnenbildung. Es wird somit davon ausgegangen, dass das Mathematiklehramtsstudierende stets die Möglichkeit haben, zwischen verschiedenen Handlungsalternativen (bspw. verschiedene Lerntätigkeiten, Fokussierung auf bestimmte Lerninhalte) zu entscheiden, sich zu den institutionellen Rahmenbedingungen zu verhalten und diese mit zu prägen, und eben nicht durch diese determiniert werden. 

Das Vorhaben orientiert sich an dem allgemeinen Kategoriensystem der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie nach Holzkamp (1995), sowie die Erweiterungen - subjektwissenschaftliche Lerntheorien der zweiten Generation (Dreier, 2008; Faulstich, 2014). Was als eine im Rahmen des Mathematiklehramtsstudiums relevante Lernthematik anerkannt und bearbeitet wird, kann individuell sehr unterschiedlich begründet sein. Jedoch ist es nicht beliebig, da Lernende gesellschaftliche Deutungsstrukturen und institutionelle Rahmenbedingungen interpretieren und sich zu diesen verhalten. Diese Deutungsstrukturen sind dem Einzelnen nicht vollständig auf manifester Ebene bewusst zugänglich, latente Deutungsmuster müssen für ein tieferes Verständnis des Verhältnisses zwischen gesellschaftlichen Bedeutungsstrukturen und subjektiver Begründungen des eigenen Lernens zunächst rekonstruiert werden.

Hierzu werden zunächst spezifische Bedeutungsstrukturen der Position des Mathematiklehramtsstudierenden herausgearbeitet, um dann individuelle Lernbegründungen in ihrer Relation zu den spezifischen Bedeutungsstrukturen zu setzen.

Die Positionsspezifik von MathematiklehramtsstudentInnen setzt sich zusammen aus der eher allgemeinen Rolle der Studentin/ des Students, als auch dem spezifischen Verhältnis von Mathematik- und Lehramtsstudium zueinander. Die Positionsspezifik wird mittels einer subjektwissenschaftlichen Reinterpretation bestehender Forschungsansätzen beschrieben. Die sich in den verschiedenen theoretischen Zugängen manifestierenden gesellschaftlichen Denkformen über (werdende) Mathematiklehrkräfte und deren gesellschaftliche Funktion sind teilweise unvereinbar oder sogar widersprüchlich zueinander. Vor allem aus der Kombination von Mathematik, den spezifischen Anforderungen des Lehramts und der Studierendenrolle ergeben sich für die Position spezifische Spannungsfelder zu denen sich Mathematiklehramtsstudierende verhalten müssen.

Momentaufnahmen von Studierendenperspektiven auf die Thematik wurden bereits mittels leitfadengestützter Interviews mit Mathematiklehramtsstudierenden erhoben (Flick, von Kardoff, & Steinke, 2004). Diese werden mit einer Kombination aus grounded methods (Strauss & Corbin, 1990) und Techniken der objektiven Hermeneutik (Wernet, 2009) ausgewertet. Dieser methodische Zugang erlaubt es, sowohl die manifeste Ebene systematisch zu erfassen als auch dahinterliegende latente Deutungsmuster zu rekonstruieren.

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Dreier, O. (2008). Learning in structures of social practice. In S. Brinkmann, C. Elmholdt, G. Kraft, P. Musaeus, K. Nielsen, & L. Tanggaard (Eds.), A qualitative stance: Essays in honor of Steinar Kvale (pp. 85-96). Aarhus: Aarhus University Press.

Faulstich, P. (Ed.). (2014). Lerndebatten: Phänomenologische, pragmatistische und kritische Lerntheorien in der Diskussion. Bielefeld:  transcript Verlag.

Flick, U., von Kardoff, E., & Steinke, I. (Eds.). (2004). A companion to qualitative research. London, Thousand Oaks, New Delhi: Sage.

Holzkamp, K. (1995). Lernen. Subjektwissenschaftliche Grundlegung. Frankfurt/ Main, New York: Campus Verlag.

Holzkamp, K. (1985). Grundlegung der Psychologie. Frankfurt/Main, New York: Campus Verlag.

Strauss, A., & Corbin, J. (1990). Basics of Qualitative Research: Grounded Theory Procedures and Techniques. Newbury Park, CA: Sage Publication, Inc.

Wernet, A. (2009). Einführung in die Interpretationstechnik der Objektiven Hermeneutik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Ruge, J.; Khellaf, S.; Hochmuth, R.; Peters, J. (2019). Die Entwicklung reflektierter Handlungsfähigkeit aus subjektwissenschaftlicher Perspektive. In Dannemann, S.; Gillen, J.; Krüger, A.; von Roux, Y. (Hrsg.), Reflektierte Handlungsfähigkeit in der Lehrer*innenbildung - Leitbild, Konzepte und Projekte. Berlin: Logos Verlag.

Ruge, J., Peters, J., & Hochmuth, R. (2019) A Reinterpretation of obstacles to teaching. In J. Subramanian (Ed.) Proceedings of the Tenth International Mathematics Education and Society Conference. Hyderabad, India.

 

Ruge, J. (2014a). Was beeinflusst das Lernhandeln von Mathematiklehramtsstudierenden – Wie und Warum?. In J. Roth & J. Ames (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikunterricht 2014 (S. 1031–1034). Münster: WTM-Verlag

Ruge, J. (2014b). Influences on pre-service mathematics teachers` learning actions. In Oesterle, S., Nicol, C., Liljedahl, P., & Allan, D. (Eds.) Proceedings of the Joint Meeting of PME 38 and PME-NA 36, Vol. 6, p. 216. Vancouver, Canada: PME. 

Ruge, J., Hochmuth, R. (2015a). Pre-service mathematics teachers’ view of mathematics in the light of mathematical tasks. In Krainer, K., & N. Vondrová (Eds.), Proceedings of the Ninth Congress of the European Society for Research in Mathematics Education (pp. 2961-2962). Prag: Charles University in Prague, Faculty of Education and ERME.

Ruge, J., & Hochmuth, R. (2015b) Socio-Political Aspects of Personal Experiences in University Teacher Education Programmes. In  Mukhopadhyay, S., & Greer, B. (Eds.), Proceedings of the Eighth International Mathematics Education and Society Conference, Vol. 3, p.925. Portland State University, Portland, Oregon, USA.

Ruge, J. (2016). Erwartungen an das Mathematiklehramtsstudium. In Institut für Mathematik und Informatik der Pädagogischen Hochschule Heidelberg (Hrsg.) Beiträge zum Mathematikunterricht 2016. Münster: WTM-Verlag.

Ruge, J., & Hochmuth, R. (2017a) How do pre-service teachers experience math didactics courses at university? Göller, R., Biehler, R., Hochmuth, R., Rück, H.-G. (Hrsg.) Didactics of Mathematics in Higher Education as a Scientific Discipline – Conference Proceedings. Kassel, Germany: Universitätsbibliothek Kassel.

Ruge, J. (2017b) Competence-based teacher education – revisited. In Chronaki, A. (Ed.) Proceedings of the Ninth International Mathematics Education and Society Conference. Volos, Greece.

Ansprechpartnerin

Johanna Ruge
Leibniz Universität Hannover

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